LUDEK PESEK – Realist und Visionär


Angelika Ullmann - 2006

Homer
Homer

Visionen

Unter dieser Überschrift ist eine Gruppe von Bildern zusammengefasst, welche die surrealistischen Weltraumbilder noch weiter transzendieren und philosophische sowie religiöse Motive aufgreifen. Es ist LUDEK PESEKS Alterswerk und stellt vielleicht so etwas wie die Summe seiner Einsichten dar. Der Blick des Malers ist nicht mehr auf eine ferne Zukunft gerichtet, in der vielleicht auf unerreichbaren Planeten neues Leben entsteht, sondern er wandert zurück in die Geschichte der Menschheit. Für dieses Thema greift er wieder auf das Format des Triptychons zurück. Damit stellt er sich in eine Tradition, die auf die mittelalterlichen Flügelaltäre zurückzuführen ist.

Als Beispiel für dieses Spätwerk sei hier das Triptychon Sophokles genannt.

Ludek Pesek - Sophokles
Sophokles

Auf allen drei Bildern ist eine antike Szenerie zu sehen: vor einem gestirnten Nachthimmel Ruinen von griechischen Säulen, zum Teil schon überwachsen. Im mittleren Bild wächst der überdimensionale Oberkörper eines alten Mannes, weißhaarig und vollbärtig, aus den Stufen einer Säulenanlage geradezu heraus; an den Rändern nämlich verschmilzt die Toga, in die der Oberkörper des Alten gehüllt ist, übergangslos mit den Steinen der Umgebung. Der Blick des alten Mannes, dem Titel nach der griechische Tragödiendichter Sophokles, ist sinnend nach innen gewandt; es handelt sich um keine reale Gestalt, vielmehr um eine Art Erscheinung, vielleicht der Genius loci. Das linke Seitenbild zeigt am Horizont einige Zypressen, am rechten Bildrand von Pflanzen überwachsene Säulen. In der unteren Bildmitte entspringt zwischen Felsen eine Quelle, die zu einem kleinen Bach wird. Das Motiv ähnelt dem auf einigen surrealistischen Weltraumbildern. Auf dem rechten Seitenbild schwebt vor dem Hintergrund der antiken Szenerie eine steinerne Kugel, die wie Gold schimmert. Obwohl es Nacht ist, fällt helles Licht auf Quelle, Kugel und die Erscheinung des Sophokles, auch das Firmament - von einem transparenten und intensiven Blau - ist relativ hell für einen Nachthimmel. Diese merkwürdigen Lichtverhältnisse unterstreichen den visionären Charakter des Gemäldes. Die beiden Seitenbilder scheinen die Erscheinung im Mittelbild zu kommentieren: SOPHOKLES ist eine Quelle, aus der sich die abendländische Kultur speist; seine Tragödien sind vollkommene Meisterwerke - so wie die goldene Kugel ein Symbol für Vollkommenheit ist. Das Gemälde ist ein Bekenntnis zum Erbe der Antike, zu ihrem Humanismus, der vom Geist dieses Zeitalters geprägt wird.

Ein anderes Triptychon aus dieser Reihe stellt eine felsige Küstenlandschaft dar; der Betrachter schaut auf ein blaues Meer unter weiß-blauem Himmel hinaus, auf dem Wasser ist im Mittelteil ein Segelschiff zu sehen. Das mittlere Bild wird von einer übergroßen antiken Marmorbüste beherrscht, die über der Szenerie schwebt. Die Büste zeigt einen alten bärtigen Mann, dessen Augen blind sind; dieser Umstand sowie die Lyra, die auf dem linken Seitenbild an einem Felsen lehnt, sind Hinweise auf die Identität des Alten: Es ist HOMER, der Begründer der abendländischen Dichtung. Auch das Segelschiff verweist auf den Dichter, auf die beiden Epen, die mit seinem Namen verbunden sind: die Ilias und die Odyssee. Es könnte das Schiff des Odysseus sein, auf dem er zehn Jahre durch das Mittelmeer irrte, bis er in seine Heimat zurückkehren durfte.

Mit Gemälden wie diesen beiden kommt ein neuer Akzent in die späten Bilder. Bäume und Felsen, Pflanzen und Blumen, die Landschaft als solche, die in den früheren Gemälden im Mittelpunkt stehen, werden jetzt zur Kulisse, zum Hintergrund für Gestalten aus der Geschichte der Menschheit, die übergroß aus der Landschaft heraustreten.

Damit rückt der Mensch, der auf den früheren Bildern fehlt, in den Mittelpunkt. Nicht jedoch als einzelne Person, als unverwechselbares Individuum, sondern als Vertreter der Menschheit, des humanistischen Erbes, an das auf diesen Bildern erinnert wird.

Ein anderes, in seinem visionären Charakter rätselhaftes Gemälde zeigt eine Reihe bärtiger Greise, die Toga ähnliche Gewänder in verschiedenen Farben tragen. Die Füße im Wolkendunst, scheinen die Gestalten zu schweben - wie die goldenen Kugeln, die - mehr zu ahnen als klar zu erkennen - ihren Zug begleiten. Die Gestalten tauchen von links aus lichten Wolken schemenhaft auf und bewegen sich auf dunkles Gewölk am rechten Bildrand zu. Sie vermitteln den Eindruck einer unendlichen Reihe; Raum und Zeit scheinen aufgehoben zu sein, wie in einer Vision, die sich jeden Moment verflüchtigen kann. Der Maler arbeitet sehr stark perspektivisch: Nur die beiden ersten Männer sind deutlich zu erkennen, die anderen Gestalten verschwimmen am Horizont. Die erste in der Reihe beherrscht durch das Pupurrot ihres Obergewandes und ihre Gestik das Bild. Mit der linken Hand weist sie auf sich selbst, mit dem rechten Arm deutet sie mit ausholender Bewegung auf eine goldene Kugel, die zu ihren Füßen schwebt. Dieser erste Greis in der Reihe und die Kugel sind sehr plastisch ausgearbeitet und durch die Komposition des Bildes betont: Beide sind leicht aus der unteren Mitte nach links bzw. rechts gerückt. Im freien Raum dazwischen - und damit im Mittelpunkt des Bildes - befindet sich die Hand des Alten. Sie ist in gebender Gebärde geöffnet, so als ob die goldene Kugel eine Gabe sei. Aus der Kugel wachsen - sich nach unten rankend -gelbe Blumen. Symbolisieren Kugel und Blume Vollkommenheit und Schönheit? Sind die Greise prophetische Gestalten, weise Männer? Die Symbolsprache des Malers ist hier sehr persönlich und eine Deutung des Gemäldes deshalb schwierig.

Zum Schluss sei auf ein Gemälde verwiesen, das symbolisch Das Unendliche - so der Titel - darstellt: Eine sommerliche Landschaft mit einem Hohlweg zwischen hellbraunen Felswänden, aus denen Büsche wachsen. Der Weg beginnt im Bildvordergrund mit zwei flachen Steinstufen, die von der gleichen Farbe wie die Felsen sind. Die Stufen nehmen die gesamte Breite des Weges ein, rechts und links von der ersten Stufe blüht jeweils ein Löwenzahn, auf der linken Seite liegt ein großer Felsbrocken - so weit die ganz realistische Szenerie, deren einzelne Attribute uns inzwischen von vielen anderen Gemälden LUDEK PESEKS vertraut sind. Die dritte und vierte Steinstufe jedoch schweben bereits leicht über dem Weg, gefolgt von einer unendlichen Reihe sich perspektivisch verkleinernder Steinplatten, die -immer heller und duftiger werdend -schließlich mit den lichten Wolken am blauen Himmel verschmelzen. LUDEK PESEK war nicht in einem kirchlichen Sinne religiös, dennoch scheint das Bild Ausdruck der Zuversicht zu sein, dass der Lebensweg nicht im Dunkeln endet, sondern in die lichte Weite des Himmels führt, dass das Unendliche in der Transzendenz liegt.



LUDEK PESEK – Realist und Visionär