LUDEK PESEK – Realist und Visionär
Angelika Ullmann - 2006
Ohne Titel und Datierung
Berge und Baume
Die Feststellung «LUDEK PESEK war ein Landschaftsmaler» beschreibt den Künstler gleichermassen zutreffend wie unzureichend. Der Begriff in seiner herkömmlichen Verwendung greift zu kurz. Denn neben den realistischen irdischen Landschaften gibt es jene grossartigen Landschaften von fernen Planeten, die auf ihre Weise nicht weniger realistisch sind.
Die im traditionellen Stil gemalten irdischen Landschaften sind fast ausschliesslich Landschaften ohne Menschen, seine Abwesenheit ist ein kennzeichnendes und auffallendes Faktum. Berge, Steine und Bäume sind zentrale Motive, die auf sehr vielen Bildern aus allen Lebensabschnitten zu finden sind. Sie haben wohl ihren Ursprung in LUDEK PESEKS Liebe zur heimatlichen Landschaft.
Er wurde am 26. April 1919 in JQad-no in der erst 1918 gegründeten tschechisch-slowakischen Republik geboren; 1923 zogen seine Eltern mit ihrem einzigen Kind nach Ostrava (Ostrau), wo LUDEK während der prägenden Jahre der Kindheit und Jugend bis zum Abitur am humanistischen Gymnasium 1939 lebte. Ostrava (Ostrau) ist eine Stadt, deren Struktur, Geruch und Farbe vom Kohlebergbau bestimmt wurde. Sein Vater, LUDVIK PESEK, war, wie schon dessen Vater, Bergarbeiter; er arbeitete sich dann zum Angestellten in einer Versicherungsanstalt für Bergleute empor.
Es war der Vater, der LUDEK die Dinge nahe brachte, die sein Leben bestimmen sollten. So hat er selbst in seiner Freizeit gemalt und Neigung und Talent seinem Sohn vererbt. LUDEK PESEK begann schon als Jugendlicher zu malen, ermutigt durch seinen Vater, der ihm mit 15 Jahren die erste Staffelei schenkte.3 Später unterstützte er dessen Wunsch, an der Kunstakademie in Prag Malerei zu studieren.
Mit seinem Vater unternahm LUDEK als Kind die ersten Wanderungen in die Beskiden, eine waldreiche Mittelgebirgslandschaft, südöstlich von Ostrava, die zu den Ausläufern der Westkarpaten gehört. Auch später verbrachte LUDEK seine Ferien in dieser Landschaft, die er sich immer wieder neu erwanderte. Besonders der Berg Lysá hora übte eine grosse Anziehungskraft auf ihn aus. Über 20 Jahre hat er diesen Berg auf jeweils neuen Wegen bestiegen und ihn sich solchermassen einverleibt:
«Geboren im Flachland, nahm ich diesen Eindruck unauslöschlich in mich auf [...] Ich sah viele Berge und grössere. Die Alpen habe ich täglich vor der Nase, ich sah den Tian Shan4, die Rocky Mountains und andere, kleinere Berge, aber der Berg Lysá hora ist immer der Berg geblieben.»5 Die ursprüngliche Natur der Beskiden stand im scharfen Kontrast zur der vom Kohlebergbau geprägten Industrielandschaft um Ostrava. So heisst es in seinen - Lebenserinnerungen über diese Zeit: «Als ich nach den Ferien am Bahnhof in Vitkovice ausstieg und das beissende Ozon der Karolina (eine Eisenhütte, Anm.d.Verf.) in die Lungen zog, wäre ich am liebsten gleich wieder in diese geliebten Hügel zurückgefahren.»6 Noch eines seiner letzten Gemälde, Haus in den Beskiden aus dem Jahr 1999, stellt eine Erinnerung an die Kindheit und Jugend dar. Es mag die Ursprünglichkeit und Unberührtheit dieser für ihn ersten Landschaft gewesen sein, die ihn tief berührte und für sein Leben prägte. Denn in seinen Gemälden von Bergen und Gebirgslandschaften sind diese beiden Aspekte immer zu finden.
Neben dem Lysá hora hat ihn noch ein anderer Berg ein Leben lang fasziniert, obwohl er ihn nie mit eigenen Augen sah: der Kilimandscharo. «Ich träumte immer davon, den Kilimandscharo zu besteigen, mit dem Motorrad ganz Afrika zu durchfahren und in Kolumbien Alligatoren zu jagen.»7 Schon als Gymnasialschüler zogen ihn fremde, ferne Landschaften an. Er fertigte ein kleines Gipsmodell vom Kilimandscharo an und bemalte es; ein halbes Jahrhundert später las er die Geschichte über den Leoparden, den Pastor RICHARD REUSCH 1926 nahe dem Gipfel des Kilimandscharo erfroren aufgefunden hatte. Diese «unerhörte Begebenheit» findet sich in Hemingways Roman Schnee am Kilimandscharo wieder. Sie inspirierte auch LUDEK PESEK zu einem Triptychon Ein geheimnisvoller Fund auf dem Kilimandscharo, einem späten Werk, das viele, für PESEK typische Motive beinhaltet.
Im mittleren Bild beherrscht der schneebedeckte Kilimandscharo den Hintergrund, eine über dem Gipfel schwebende Wolke erhöht die Majestät des Berges. Einige von den zu Tal stürzenden Felsbrocken schweben in der Luft - ein Motiv, das auf vielen Gemälden zu finden ist. Im Bildvordergrund liegt auf moosbewachsenen Steinen ausgebreitet ein Leopardenfell. Es leuchtet in der Sonne, als ob es frisch präpariert und gerade erst dort hingelegt worden ist. Der dunklere Streifen in der Mitte des Fells weist wie ein Weg sich perspektivisch verjüngend den Berghang hinauf. So entsteht der Eindruck, als ob hier ein Teppich ausgebreitet wurde, einer, der der Majestät des Kilimandscharo würdig ist. Die beiden seitlichen Bilder zeigen eine Urwaldlandschaft, undurchdringlich und geheimnisvoll; verstärkt wird diese Atmosphäre noch durch Wolkenschleier, die den Wald durchziehen. Wie im Kontrast dazu setzt der Maler zwei belebende Akzente: die rote Blume im linken Bild und die Eidechse im rechten. Der Berg und der Urwald, sie führen ihr eigenes Leben, die Natur ist ganz für sich, - und dennoch: jemand muss das Fell bearbeitet und dorthin gelegt haben. So scheint das Gemälde ein Geheimnis zu bewahren - und das gilt für viele von PESEKS späten Bildern. Sie deuten über eine vordergründige Realität hinaus.
Die rote Aufsetzerblume, die auf einem abgestorbenen Ast blüht, ist ein Motiv, das auf mehreren Gemälden wiederkehrt. Es symbolisiert die Kraft der Natur, sich aus sich heraus zu erneuern. Hier wird es dadurch betont, dass der abgestorbene Ast frei im Bildmittelpunkt schwebt.
Die tiefe Bindung an die heimatliche Natur zeigt sich auch im schriftstellerischen Werk LUDEK PESEKS. Die Literatur zog ihn ebenso an wie die Malerei, deshalb suchte seine kreative Fantasie ihren Ausdruck auch im Schreiben. Parallel zu seinem Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Prag schrieb er drei Romane: Die Leute im Gestein (1946); Die Lasttiere (1947) und Auktion (1948). Der Roman Die Leute im Gestein beschreibt das schwere Leben der Menschen unter dem Berg Lysá hora. Der letzte der drei Romane wurde nicht mehr verlegt, da er den ideologischen Ansprüchen des Regimes nicht entsprach. Die kommunistische Zensur führte dazu, dass LUDEK PESEK literarisch für lange Jahre verstummte und sich auf die Malerei konzentrierte.
Aber sein frühes literarisches Werk ist nicht vergessen: Im Jahre 2005 hat das Museum für tschechische Literatur in Prag damit begonnen, den literarischen Nachlass LUDEK PESEKS aufzuarbeiten und zu dokumentieren.
Neben Bergen sind es Bäume, die LUDEK PESEK von Jugend an liebt, wie die folgende Erinnerung eindrücklich zeigt: «Einmal ging ich über den Hang des Berges Kobylanka, eines Ausläufers der Lysá, an zwei Holzfällern vorbei, die eine alte gesunde Tanne fällten. Damals natürlich mit einer Handsäge und Keilen. Ich hörte sie dann noch einige Stunden, wie sie sich plagten. Am Abend ging ich an dem liegenden Leichnam der Tanne vorbei und war traurig. Der Sinn dieser Hinrichtung ist mir bis heute ein Rätsel. Es gab und gibt keine Maschine, welche diesen Holzberg von dem unwegsamen Gelände zur Strasse bringen könnte. Eine Maschine zum Sägen solcher Stämme gibt es auch nicht. Als nach einiger Zeit der Baumstumpf trocken war, legte ich mich auf diese Jahrhunderte...»8
Allein die grosse Anzahl von Bildern, auf denen Bäume im Mittelpunkt stehen, zeigt die Bedeutung dieses Motivs in LUDEK PESEKS Malerei. Viele Gemälde stellen einzelne Bäume naturgetreu dar: alt und knorrig, ein Symbol des Lebens selbst, aber auch der Spuren, die es hinterlässt; sie stehen - in klassischer Bildaufteilung - vor der Weite des Himmels, der in seiner Erscheinung variiert: ein strahlend oder tief blauer, ein wolkenverhangener oder ein nächtlicher. Gemeinsam ist diesen Darstellungen die Haltung, die in ihnen zum Ausdruck kommt: Es ist die Achtung vor der Individualität des Lebewesens Baum, seiner Würde und seiner Schönheit.
Es ist deshalb durchaus angemessen, dass auf einem der surrealistischen Gemälde vor einem solchen Baum ein roter Thronsessel steht. Dem alten Baum mit seiner königlichen Ausstrahlung wird dadurch Reverenz erwiesen: Wie eine Majestät darf er Anspruch auf diesen herausgehobenen Platz erheben.
Als sich LUDEK PESEK in den 1970er Jahren aus beruflichen Gründen oft in den USA aufhielt, faszinierten ihn die Urwälder der amerikanischen Westküste, und er hat seine Eindrücke in einer Serie von ungefähr 50 Bildern festgehalten.
Abgeschiedenheit und Verschlossenheit, Dichte und Undurchdringlichkeit bestimmen die Atmosphäre. Der Maler schafft sie, indem er ganz dicht an sein Motiv herangeht, Ausschnitte wählt, die durch den Kontrast von Licht und Schatten lebendig werden. Mal verwehrt die Wand der senkrechten Stämme den Zutritt, ein anderes Mal lenkt ein besonders charakteristischer Stamm den Blick des Betrachters auf sich, dann wieder sind es die Wurzeln und der Waldboden, die in den Mittelpunkt gerückt werden. Oder es ist ein einzelnes Blatt, auf das das Licht fällt und die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Aufgrund des konsequent realistisch-naturalistischen Stils entsteht der Zauber einer ganz auf sich selbst bezogenen ursprünglichen Welt, die ihr Geheimnis gegenüber dem Betrachter behauptet.
Im Kosmos des Waldes ist der Mensch unerwünscht. Zwei Ölgemälde drücken das deutlich aus. Das eine trägt den Titel Gefahr. Diagonal durch das Bild ziehen sich ineinander gedrehte trockene Ranken, eine Art natürlicher Stacheldraht. Er markiert eine Grenze, genau so wie der quer auf dem Boden liegende Baumstamm, der sich auf einer Linie mit dem «Stacheldraht» befindet. Diese «Grenze» ist scharf bewacht: ein Stamm streckt seine abgestorbenen, spitzen Äste dem Betrachter abwehrend entgegen und bizarre braun-schwarze Wurzeln sehen wie gefährliche Fabelwesen aus, die hier Wache stehen. Bildinhalt und Farbgestaltung unterstreichen die diagonale Aufteilung des Gemäldes. Im Vordergrund ist eine grün-schwarze Bodenvegetation zu sehen, in die die aufgelösten Enden des Drahtgezweigs hineinleuchten. Hinter der «Grenze» stehen dicht gedrängt alte, sterbende Nadelbäume in grün-goldenen Farben. Es sind mächtige Stämme, die Kronen befinden sich ausserhalb des Bildausschnitts. Es ist der Wald selbst, der mit seinen «Waffen» dem Menschen den Zutritt verwehrt, so als ob er in Ruhe und Würde sterben wolle. Dieses Gemälde ist vordergründig realistisch, denn alle Erscheinungen lassen sich «natürlich» erklären; aber die Gestaltung und Anordnung der Dinge geben dem Gemälde eine symbolische Bedeutung.
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Auch das mit Warnung betitelte Gemälde zeigt einen sterbenden Nadelbaum in einem dichten Wald. Der Bildausschnitt führt den Betrachter ganz nah an den Stamm heran, und da das volle Licht auf ihn fällt, drängt er sich ihm förmlich auf. Zu sehen ist nur der untere Teil. Über die gesamte Länge des Ausschnitts klafft im Stamm eine längliche Wunde, rötlich-braun hervorgehoben. Die Rinde ist bis auf kleine Reste bereits abgelöst, die zahlreichen Äste sind abgebrochen und liegen tot und verstreut auf dem braunen Waldboden, während die Stummel spitz und verloren aus dem Stamm herausragen. Durch diese ausserordentlich naturgetreue Darstellung wird der Betrachter aufgefordert, alle Details wahrzunehmen und eine Haltung zu dem Dargestellten einzunehmen. Seitlich links steht weiter im Hintergrund ein anderer Baum, auf den das Licht abgeschwächt fällt. An seinem Stamm ist in Augenhöhe ein weisses Blatt mit angedeuteter, aber nicht lesbarer Schrift angebracht. Ungeachtet dessen, was tatsächlich auf dem Papier stehen mag, wird der Anschlag durch den Titel des Bildes zu einer «Warnung», nicht weiter in den Wald vorzudringen.
Diese Botschaft wird mittels einer symbolischen Anordnung unterstrichen: hinter der Tanne liegt ein Baumstamm quer und versperrt so das Vordringen. Auch hier steht die realistische Malweise in einer spannungsreichen Beziehung zu der symbolträchtigen Anordnung und Beleuchtung der Gegenstände. So entsteht der Eindruck, dass eine «Botschaft» vermittelt werden soll. Beiden Gemälden ist ein düsterer, bedrohlicher Charakter gemeinsam. Es wurde schon daraufhingewiesen, dass in PESEKS Landschaften die Abwesenheit des Menschen auffällt; in diesen beiden Waldbildern ist ihm sogar der Zutritt ausdrücklich verwehrt. Die Gründe dafür mögen in jener oben zitierten Episode anklingen: Der Mensch tritt zu oft nur als blinder Zerstörer in Erscheinung. Vielleicht richtet sich die «Warnung» an den Menschen, sich der «Gefahr» der Naturzerstörung bewusst zu werden.
LUDEK PESEK ergreift die Partei der Natur, der Bäume. Er distanziert sich von einem anthropozentrischen Standpunkt, der die Natur nur in Bezug auf den Menschen wahrnimmt, stattdessen räumt er der Natur ein eigenständiges Daseinsrecht ein. Ein spätes Werk ist das Triptychon mit dem Titel Undurchdringlichkeit. Es stellt eine üppig wuchernde Urwaldlandschaft dar.
Der Waldboden mit grossblättrigen Pflanzen im Bildvordergrund ist auf allen drei Teilen detailliert ausgeführt, hier herrschen schattige Grün- und Brauntöne vor, der Bildhintergrund mit den Bäumen verschwimmt in einem lichten, ins Gelbliche spielenden Grün. Auf den beiden Seitenbildern wird das Bild aufgeteilt durch jeweils einen dünnen Stamm, der, wie gewürgt von den Wurzeln einer Schlingpflanze, mühsam dem Licht zustrebt. Diese Situation ist sehr genau ausgearbeitet und damit betont. Hier scheint ein permanenter Kampf um Freiheit und Licht stattzufinden. Im Mittelbild stehen zwei halb abgestorbene Bäume im Vordergrund: krumm gewachsen, kaum verzweigt und nur spärlich belaubt bilden sie mit ihren mageren Kronen einen kümmerlichen Kontrast zu den stolzen Einzelgängern in freier Landschaft, die auf anderen Bildern dargestellt sind.
Undurchdringlichkeit - hier gibt es keinen Weg hindurch und auch der Weg hinauf, zu Licht und Freiheit, ist behindert. So macht die Natur hier trotz -oder gerade wegen - der üppigen Vegetation einen beklemmenden Eindruck, der durch das kränklich wirkende Gelb-Grün unterstrichen wird. Einen einzelnen Farbtupfer bildet das hier wiederkehrende Motiv der auf einem abgestorbenen Stumpf rot blühenden Blume. In diesem Kontext jedoch wirkt sie eher verloren, nur wie ein schwaches Hoffnungslämpchen.
Dieses Triptychon scheint aus der Reihe der anderen Baum- und Waldbilder herauszufallen.
Betont der Maler auf vielen anderen Gemälden die Kraft der Natur, sich aus sich selbst heraus zu erneuern, so ist diese positive Kraft hier nicht zu spüren, vielmehr dominiert hier der Eindruck würgender Enge. Es muss offen bleiben, inwieweit mit dieser Urwaldlandschaft möglicherweise eine Seelenlandschaft, ein momentanes Lebensgefühl gestaltet werden soll.
Wie wichtig Bäume für LUDEK PESEK waren, wird auch daran deutlich, dass
sie auf den surrealistischen Bildern ebenfalls häufig als Motiv zu finden sind.
Charakteristisch für diese Gruppe von Bildern ist, dass PESEK Motive aus den realistischen Gemälden aufgreift und dann verfremdet. So zum Beispiel bei dem Bild Das Leben.
Auf den ersten Blick erscheint es als naturalistische Gebirgslandschaft: schneebedeckte, von Wolken weitgehend verdeckte Berge am Horizont, Tannen und grosse Felsen in der Mitte des Bildes, ein ruhiges Wasser mit steinigem Bett im vorderen Bereich. Ein abgestorbener Baumstamm im Vordergrund teilt das Gemälde im Verhältnis zwei zu einem Drittel auf. Der im unteren Teil schon rindenlose, glatte Stamm schimmert hell im Licht, eine Axt steckt mitten in seinem Holz. So weit ist das Bild ganz realistisch. Dann bleibt das Auge an einer kleinen Merkwürdigkeit hängen, die alles verändert: Aus dem Stiel der Axt treiben frische Blätter - so als ob der Rest von Leben im alten Baum über die ins Stammholz eingedrungene Klinge in den Stiel geflossen sei. Dieses verfremdende Moment eröffnet einen weiten Bezie-hungs- und Deutungsraum. Der Teil der Axt, der ursprünglich Baum war, nämlich der Stiel, «erinnert» sich seines Ursprungs, kehrt in den Kreislauf der Natur und damit des Lebens zurück. Das vom Menschen hergestellte Werkzeug, das zum Fällen von Bäumen gebraucht wird und ihnen so den Tod brachte, wird selbst wieder zum lebendigen Holz. Es ist wie eine Zurücknahme, Berichtigung der Entwicklung. In diesem Zusammenhang sei an das oben zitiertes Erlebnis PESEKS in den Beskiden erinnert, wo er die sinnlose Abholzung einer alten, mächtigen Tanne als Hinrichtung bezeichnet. Ohne den Menschen aber und sich selbst überlassen vermag die Natur sich zu erneuern.
Das Motiv des abgestorbenen Baumes taucht auf vielen Bildern auf. Dabei ist es weniger die Vorstellung von Vergänglichkeit und Tod, die sich beim Betrachter einstellt, als die Idee einer Metamorphose. Das Leben geht in verwandelter Form weiter: es treibt neu aus dem Stiel der Axt oder erneuert sich in einer leuchtend roten Blume, die auf einem toten Ast wächst.
Zwei andere surrealistische Gemälde verwenden das oben beschriebene Motiv des einzeln stehenden Baumes, um es zu verfremden. Beide Bilder sind in ihrem Aufbau ähnlich.
Im ersten Bild mit dem Titel Die Kraft des Lebens erhebt sich auf einer freien Anhöhe eine mächtige Eiche vor einem blassblauen, leicht bewölkten Himmel, die Wurzeln sind zum Teil sichtbar. Auf der freien Fläche des kleinen Hügels liegen verstreut grössere und kleinere Felsen.
In höchstem Masse befremdlich ist nun, dass die eine Eiche im oberen Teil der Krone einen mächtigen nackten Felsblock trägt, der - betrachtet man nur seine Umrisse - die Gestalt des Baumes vervollständigt. Hat der Baum beim Emporwachsen den Felsen selbst aus der Erde herausgestemmt oder ist dieser Brocken ein Meteorit aus dem All? Das Surrealistische liegt in der Gegensätzlichkeit von belebter und unbelebter Natur, die hier zu einer Erscheinung zusammengezwungen werden. Wie aber ist dieses Bild zu deuten? Geht es darum, wie der Titel nahe legt, «die Kraft des Lebens» gegenüber der unbelebten Masse des Felsbrockens eindrucksvoll zu demonstrieren? Oder darum, die stolze Unbeugsamkeit der Eiche zu verdeutlichen, die selbst unter dem Tonnengewicht des Felsen aufrecht wächst? Oder empfindet der Maler unser Denken in den Kategorien von unbelebt und belebt zu beschränkt? Ist für ihn der Fels nur eine andere, frühe Form von lebender Natur? Wie auch immer, Felsen und Steine - das Material, aus dem die Berge sind - gehören neben Bäumen zum festen Vokabular in LUDEK PESEKS Bildersprache. Baum und Stein symbolisieren je auf ihre Weise Lebenskraft und Unzerstörbarkeit - hier in einer Metapher zusammengefügt.9 Das Thema Stein und Natur greift der Maler in seinen surrealistischen Weltraumbildern wieder auf, um es weiterzuentwickeln: Belebte und unbelebte Natur verschmelzen dann zu einer Einheit - wie wir weiter unten sehen werden.
Das mit Die ewige Eiche bezeichnete Gemälde steht in einem offensichtlichen Kontrast zu dem vorigen. Dem Betrachter zeigt sich das Prachtexemplar einer sommerlichen Eiche - allerdings erhebt sie sich - über ihrem Stammansatz glatt abgesägt - schwebend in den Himmel, quasi als eine Art Vision ihrer selbst. Es mag sein, dass PESEK auf einer seiner Wanderungen einen eindrucksvollen Baumstumpf gesehen hat. Vielleicht aus Trauer, vielleicht als Mahnung wollte er dem gefällten Baum als Maler ein Denkmal setzen. Und so hat er beides auf einem Bild festgehalten, den vorhandenen Baumstumpf und seine Vorstellung von dem Baum in seiner ganzen lebendigen Pracht. Eines wird auf diese Weise deutlich: ohne den schwebenden Baum wäre der Hügel öde und kahl, die Landschaft verwaist.
Der Kontrast zur «Steineiche» ist denkbar gross: dort gedrungene Massigkeit, hier schwebende Leichtigkeit; beide Bilder aber sind Hymnen, Liebeserklärungen an das Lebewesen Baum.
3 Ausstellungskatalog a.a.O, S. 64
4 ein Gebirgssystem in Asien (China, Kirgisien, Usbekistan,
Tadschikistan, Kasachstan)
5 Ausstellungskatalog a.a.O. S. 62
6 Ausstellungskatalog a.a.O. S. 62
7 Ausstellungskatalog a.a.O. S. 71
8 Ausstellungskatalog a.a.O. S.62
9 Ausstellungskatalog a.a.O., .S. 73