LUDEK PESEK – Realist und Visionär
Angelika Ullmann - 2006
Freiheit
Aufbruch
1939 begann LUDEK PESEK mit seinem Studium an der Akademie der bildende Kunst in Prag. Im März 1939 besetzten die deutschen Truppen Prag und die Tschechoslowakei. 1940 wurden die Hochschulen von den deutschen Besatzern geschlossen und LUDEK PESEK musste seine Studien unterbrechen. Erst nach dem Krieg 1945 konnte er sie wieder aufnehmen. Er besuchte nun für zwei Jahre die Klasse von Professor VRATISLAV NECHLEBA, den er wegen seiner Kunstfertigkeit und seiner realistischen Malerei sehr schätzte. Den hohen Anspruch an das handwerkliche Können übernahm LUDEK PESEK von seinem Lehrer, ebenso den Respekt vor der zu malenden Realität. Abgesehen von einer kurzen Phase, in der er abstrakt malte, blieb er einer realistischen Kunstauffassung treu und distanzierte sich bewusst von der abstrakten Malerei des 20. Jahrhunderts.
Nach seinem Studium an der Kunstakademie blieb LUDEK PESEK in Prag. Wie schon die Nationalsozialisten und der Zweite Weltkrieg, so griff die politische Entwicklung weiter gewaltsam in seinen Lebensweg als Maler ein. Mit der Machtübernahme der Kommunisten in der Tschechoslowakei 1948 begann die ideologische Diktatur des Sozialistischen Realismus in der bildenden Kunst. Einer Vereinnahmung entzog sich LUDEK PESEK, indem er auf das Gebiet der abstrakten Malerei auswich. Wie er in seinen Lebenserinnerungen schreibt, handelte es sich dabei um eine Art innere Emigration.
Dennoch war LUDEK PESEK davon überzeugt, dass er in der abstrakten Malerei nicht alle seine Fähigkeiten zur Geltung bringen konnte. Er war sich bewusst, dass er die Notwendigkeit verspürte, «ins Bild hineinzugehen. In die Abstraktion komme ich nicht hinein.»10
Da er sich weigerte, der kommunistischen Partei beizutreten, und sich den offiziellen Richtlinien für die Bildende Kunst nicht unterwerfen wollte, nahm das Regime ihm Möglichkeiten, als Maler, Schriftsteller und auch als Fotograf öffentlich zu wirken, er wurde überdies angegriffen und zeitweise sogar polizeilich überwacht.11 Aus politischen Gründen wurde er aus dem tschechischen Künstlerverband ausgeschlossen. Diese Massnahme wurde jedoch wieder rückgängig gemacht, als zwei seiner Gemälde bei einem nationalen Wettbewerb erste Preise gewannen. Weil er sich in seinem Schaffen und damit auch in seiner künstlerischen Entfaltung behindert sah, kehrte er nach der Niederschlagung des «Prager Frühlings» durch sowjetische Truppen im August 1968 von einer Reise in die Schweiz nicht mehr in die CSSR zurück. Zusammen mit seiner Frau BEATRICE liess er sich in Stäfa bei Zürich nieder und beide wurden Schweizer Staatsbürger.
Das Gemälde mit dem Titel Freiheit scheint diese einschneidende Veränderung seines Lebens zu thematisieren.
Interessant ist, wie der Maler den Betrachter in das Gemälde einbezieht, denn dieser befindet sich unmittelbar vor einem aufgerissenen Maschendrahtzaun und blickt auf eine offene Landschaft dahinter. Die Lücke im Zaun eröffnet ihm einen Weg, der sich in der Weite des sanften Hügellandes verliert. Die Landschaft hinter dem Maschendrahtzaun wirkt mit ihren Blumen und Bäumen freundlich, der Weg einladend. Ein surrealistisches Element stellt der Fluchtstab in der Bildmitte dar: Symbol für den Neuanfang, für die Freiheit, die neu vermessen sein will.
Das Motiv des Durchbruchs variiert der Maler immer wieder. An die Stelle des Maschendrahtzauns tritt auf anderen Gemälden eine hölzerne Tür oder eine Bretterwand.
Ein Ausblick eröffnet sich hierbei zum Beispiel durch einen offenen Fensterladen in der Tür, durch einen Spalt in der Holzwand oder auch oberhalb einer Wand. Aber anders als auf dem Gemälde Freiheit schaut der Betrachter nicht in eine irdische Landschaft, sondern in einen tiefblauen, Sternen übersäten Himmel von faszinierender Leuchtkraft - Symbol der Sehnsucht, die jede irdische Begrenzung hinter sich lassen und zu fernen Zielen aufbrechen möchte. Ein poetisch dichtes Beispiel aus dieser Gemäldegruppe ist das Bild mit dem Titel Die Motten.
Wie in einer Nahaufnahme rückt der Maler einen kleinen, aber zentralen Ausschnitt von einem Holztor vor das Auge des Betrachters. Dieser steht -ähnlich wie bei dem Gemälde mit dem Titel Freiheit - unmittelbar davor; ein Kontext, in den er das Tor einordnen könnte, ist durch die Wahl der Perspektive nicht gegeben. Ganz detailgetreu sind Struktur und Farbe des verwitterten Holzes wiedergegeben, ebenso liebevoll genau gemalt ist ein kunstvoll gearbeitetes, verrostetes Schloss, das die beiden Flügel gerade noch zusammenhält. Aufgrund der meisterhaft realistischen Maltechnik ist hier die Achtung des Malers vor den Dingen und ihrem Eigenleben, aber auch die vor der handwerklichen Kunst des Schlossers fast mit den Händen zu greifen. Die rostrote Spur, die der Regen unterhalb des rechten Schlosselements hinterlassen hat, legt die Assoziation an eine blutende Wunde nahe. Oberhalb des Schlosses ist Holz bereits weg gebrochen und die so entstandene Öffnung gibt den Blick frei auf den tiefblauen Himmel, in dem die Sterne funkeln. Die Vergänglichkeit der irdischen Dinge -symbolisiert durch den Rost und das ausgebleichte Holz - kontrastiert mit der faszinierenden Tiefe des Universums. Man gewinnt den Eindruck, dass unsere Welt eine absterbende sei, dass es gilt, neue Welten jenseits unserer alten Erde zu entdecken.
Rätselhaft ist ein Detail auf diesem Gemälde: Um die Öffnung im Holz sitzen Motten, die sich nur durch das etwas hellere Grau von dem Untergrund abheben. Sie sind alle auf die Öffnung ausgerichtet, so als ob sie sich vor dem Abflug davor sammelten. Warum wählte der Maler gerade Motten, diese unscheinbaren, farblosen Tiere, die wir als Ungeziefer betrachten? Sind sie die Lebewesen, die übrig geblieben sind, nachdem die Menschen, die hier einmal etwas «abgeschlossen» haben, fort sind? Ist es das Licht der Sterne, das sie anzieht und um die Öffnung versammelt? Denn es scheint so, als ob sie im Begriff seien, zu neuen Sternen aufzubrechen.
So unterschiedlich die Gemälde Freiheit und Die Motten auch sind, zeigen sie doch deutlich, dass sich LUDEK PESEK in der Malerei eine Möglichkeit schuf, sich aus scheinbar ausweglosen Situationen, in denen er sich als Gefangener fühlte, «hinauszumalen». Auf diese Weise konnte er depressiven Stimmungen entfliehen und seinen Träumen und Sehnsüchten auf der Leinwand Gestalt zu geben.
10 Ausstellungskatalog a.a.O., .S. 73
11 ebenda, S.67; Dr. NOEL CRAMER, Observatoire de Geneve, in : Space Art and LUDEK PESEK, Dec. 2002